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Norddeutsche Wollkämmerei & Kammgarnspinnerei

Norddeutsche Wollkämmerei & Kammgarnspinnerei Delmenhorst

Norddeutsche Wollkämmerei & Kammgarnspinnerei

Nordwolle, offiziell bekannt als Norddeutsche Wollkämmerei & Kammgarnspinnerei, ist ein faszinierendes historisches Juwel in Delmenhorst, Niedersachsen, Deutschland. Diese ehemalige Wollverarbeitungsfabrik, die von 1884 bis 1981 in Betrieb war, gilt als eines der großen industriellen Denkmäler Europas und als Beweis für das reiche Erbe historischer Fabrikarchitektur. Heute bieten die erhaltenen Gebäude von Nordwolle einen einzigartigen Einblick in die Vergangenheit, was sie zu einem unverzichtbaren Ziel für Geschichtsinteressierte und neugierige Reisende macht.

Die Entstehung und der Aufstieg von Nordwolle

Die Geschichte von Nordwolle beginnt mit ihrem Gründer Christian Lahusen, der die Fabrik am 5. März 1884 gründete. Die strategische Lage zwischen der Bahnlinie Bremen-Oldenburg und der Delme bot hervorragende Transportverbindungen und eine zuverlässige Wasserquelle zum Waschen der Wolle. Der zollfreie Status von Delmenhorst, im Gegensatz zu den hohen Zöllen auf Fertigwaren in Bremen, trug weiter zur Eignung des Standorts für die Wollverarbeitung bei. Lahusen, der seine Erfahrung im Wollhandel während seiner Zeit in Argentinien und im Wollverarbeitungsgeschäft in Neudek, Böhmen, gesammelt hatte, brachte hochwertige Wolle von argentinischen Schaffarmen nach Delmenhorst und verwandelte Rohwolle in feines Garn.

Unter der Leitung von Lahusens Sohn Carl Lahusen, der 1888 die Führung übernahm, expandierte die Fabrik schnell zu einem großen Industrieunternehmen. Bis 1911 wuchs die Belegschaft von 900 auf etwa 3.000 Mitarbeiter. Das Familienunternehmen entwickelte sich zu einem Konglomerat, das in den 1920er Jahren ein Viertel der weltweiten Rohwollgarne produzierte und allein in Delmenhorst bis zu 4.500 Menschen beschäftigte. Der Erfolg der Fabrik wurde von Großherzog Friedrich August II. von Oldenburg anerkannt, der Carl Lahusen 1912 den Ehrentitel Geheimer Kommerzienrat verlieh.

Die soziale Struktur von Nordwolle

Mit der Expansion von Nordwolle sah sich die Fabrik aufgrund niedriger Löhne einem Mangel an lokalen Arbeitskräften gegenüber. Die Fabrik begann, Arbeiter aus mitteleuropäischen Ländern zu rekrutieren und brachte junge Frauen und Mädchen aus Schlesien, Galizien und Böhmen, um die Zwirn- und Drehmaschinen zu bedienen. Diese Arbeiterinnen, lokal als Wollmäuse bekannt, verdienten einen mageren Tageslohn von 1,50 Mark, während ihre männlichen Kollegen in der Spinnerei etwas mehr verdienten. Der Zustrom ausländischer Arbeitskräfte führte zwischen 1885 und 1905 zu einer Verdreifachung der Bevölkerung von Delmenhorst, was zu schweren Wohnungsengpässen und sozialen Missständen führte, die berüchtigt als Delmenhorster Verhältnisse bekannt wurden.

Der Niedergang und das Erbe von Nordwolle

Nach dem Tod von Carl Lahusen im Jahr 1921 übernahm sein Sohn Georg Carl Lahusen das Unternehmen, dessen Hauptsitz sich nun in Bremen befand. Unter der Leitung von Georg Carl verfolgte das Unternehmen eine aggressive Expansion, was zu finanzieller Instabilität führte. Der globale wirtschaftliche Abschwung und Missmanagement führten im Juli 1931 zur Insolvenz von Nordwolle. Der Zusammenbruch löste die deutsche Bankenkrise aus, was finanzielle Institutionen beeinträchtigte und über Bremen hinaus erheblichen wirtschaftlichen Schaden verursachte. Georg Carl und sein Bruder Heinz Lahusen wurden 1933 verhaftet und zu Gefängnisstrafen und Geldstrafen verurteilt.

Trotz der Insolvenz führte eine Gläubigerversammlung 1932 zur Gründung von zwei Nachfolgeunternehmen, eines davon war die Norddeutsche Woll- und Kammgarnindustrie AG. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Fabrik zu einem Wehrmachtsbetrieb erklärt, produzierte für die Kriegsanstrengungen und beschäftigte Zwangsarbeiter aus besetzten Gebieten. Nach dem Krieg nahm das Unternehmen die begrenzte Produktion wieder auf und wurde 1950 in Norddeutsche Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei AG umbenannt. Die strukturelle Krise der Textilindustrie in den 1960er und 1970er Jahren führte zu Stellenabbau und schließlich zur Schließung des Werks in Delmenhorst im Jahr 1981.

Architektonische Wunder und moderne Transformation

Das architektonische Erbe von Nordwolle ist ebenso beeindruckend wie seine Industriegeschichte. Die Fabrikgebäude, entworfen von Unternehmensarchitekten und -management, spiegeln eine Mischung aus Funktionalität und Pracht wider. Das Gelände, das sich über etwa 25 Hektar erstreckt, war einer der größten Industriekomplexe Europas. Bemerkenswerte Bauwerke umfassen ein Wohnhaus, das 1886 für Christian Lahusen gebaut wurde und später von seinem Sohn Carl zur weitläufigen Lahusen Villa erweitert wurde. Der umliegende Wollepark, der ursprünglich für Arbeiter und die Öffentlichkeit unzugänglich war, wurde vom Landschaftsarchitekten Wilhelm Benque gestaltet.

Heute hat sich das Nordwolle-Gelände in ein lebendiges Stadtviertel verwandelt, das moderne Wohnentwicklungen mit den erhaltenen, denkmalgeschützten Fabrikgebäuden kombiniert. Das Gebiet beherbergt auch das Nordwestdeutsche Museum für Industriekultur, das Besuchern ein immersives Erlebnis in die industrielle Vergangenheit von Delmenhorst und der weiteren Region bietet.

Zusammenfassend ist Nordwolle nicht nur ein Relikt der Industriegeschichte, sondern ein lebendiges Zeugnis der Entwicklung von Industrie, Gesellschaft und Architektur in Delmenhorst. Die erhaltenen Gebäude und die Geschichten, die sie bewahren, machen es zu einem faszinierenden Ziel für alle, die sich für das reiche Erbe der europäischen Industriegeschichte interessieren. Ob ihr Geschichtsbegeisterte, Architekturfreunde oder einfach nur neugierige Reisende seid, ein Besuch bei Nordwolle verspricht ein aufschlussreiches und unvergessliches Erlebnis zu werden.

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